Wo wir lügen
Tatsächlich, ich war tot, tot für eine Welt, die sich mir als Kollektivtäuschung enthüllt hatte. Es gab kein Zurück, die Schwelle war überschritten. Ich glaubte nicht mehr an das, was als genehme und genehmigte öffentliche Meinung auf allen Kanälen verkündet wurde. Aus der Sicht der Gläubigen war ich über Nacht ein Abtrünniger, ein Häretiker, geworden. In Kulturen der Antike oder der Vorzeit hätte ich vielleicht Zuflucht in einem abgelegenen Kloster oder Tempel finden können, einem Unterschlupf für jene, die sich enttäuscht von der Welt der Menschen abgewandt hatten, abgestoßen von ihrem falschen Schein. Doch eine solche Bleibe war mir nicht zugänglich, zumindest nicht im physischen Sinne. Und so lebte ich im Umfeld, wenn auch am Rande, einer mir fremd gewordenen Glaubensgemeinschaft. Das gesellige, sichere Miteinander dieser Gemeinde gab es für mich nicht mehr. Und nun, da ich außerhalb stand, erfuhr ich, dass all ihre Bekenntnisse bloß wohlfeile Losungen auf großartig wehenden, ideologisch aufgebauschten Fahnen waren. Toleranz? Solidarität? Redlichkeit? Aufgeklärtheit? Alles nur Worthülsen! Was mich betraf, hatte keine dieser hehren Tugenden die Bewährungsprobe bestanden, keine einzige. Gnade den Ungläubigen? Fehlanzeige! Verständnis für die Zweifler! Mitnichten! Und die Bereitschaft zum offenen Diskurs? Erschreckend gering.
Doch was war nun jene ominöse, offenbar sorgsam orchestrierte und flächendeckend verkündete Lüge, die uns wie ein Schwert entzweite? Welche boshafte Botschaft hatte weltweit eine solche Spaltkraft?
Die Menschheit werde von einer unheilvollen Krankheit in ihrem Fortbestehen bedroht? Buchstäblich jeder von uns könne, und zwar ohne es auch nur zu bemerken, Verbreiter einer todbringenden Seuche sein, den unschuldigen anderen ein apokalyptischer Reiter auf fahlem Pferde? Die Natur schlage zurück und wir seien ihr wehrlos ausgeliefert? Derlei Verkündigungen mag man für bare Münze nehmen oder als baren Unsinn von sich weisen.
Ich gehörte zu jenen, die dem Szenario dieses Katastrophenfilms von Anfang an als eine zwar verstörende aber nicht glaubwürdige Darbietung betrachteten. Ich meinte zu erkennen, was gespielt wurde, dachte zu durchschauen, wie sich die Dinge wirklich verhalten. Aber diese Erkenntnis half mir nicht. Die Lüge war zu groß, ihr Einfluss in seiner ganzen Breite und Tiefe furchteinflößend. Das war nicht nur frustrierend und abstoßend, sondern auch faszinierend. Wie kommt es, so fragte ich mich immer wieder, dass sie so wirkmächtig ist? Wie gelingt ihr bloß diese perfekte pandemische Täuschung? So lenkte ich meinen Blick von der enttäuschenden Ohnmacht des Rechts und Gerechten ab und suchte das Wesen der Lüge zu ergründen. Es ging mir nicht um diese oder jene Faktenverdrehung, erst recht nicht darum, betrügerische Behauptungen richtigzustellen. Nein, ich wollte hinter das Blendwerk schauen, wollte wissen, wieso es so gut funktionierte.
Da ahnte ich bereits, dass ich auch hinter meiner eigenen Verblendung würde schauen müssen. Zunächst aber war ich stärker nach außen gerichtet. Dass die Getäuschten eine Affinität zur Lüge haben mussten und diese deshalb so leichtes Spiel mit ihnen hatte, war mir sofort klar. Es konnte sich nur um eine ganz grundlegende Lüge handeln, eine, die ihnen in Fleisch und Blut übergegangen war und somit von ihnen gar nicht mehr bemerkt werden konnte. Damit rückten die vorherrschenden Grundannahmen, die Prämissen des Common Sense in meinen Blick.
Von welchem Weltbild wird ausgegangen? Wie wird gedacht? Was bin ich, was ist der Mensch, in Wahrheit? Das waren die Fragen, denen ich auf den Grund gehen wollte.
Wie ich aus Gesprächen, Beobachtungen und naturwissenschaftlichen Veröffentlichungen schon länger wusste, gehen viele Menschen heute davon aus, dass Zufälle, das heißt unvorhersehbare Ereignisse ohne Sinn und Absicht, ihre Geschicke bedingen. Sie sehen sich der Willkür der Natur ausgesetzt. Anders gesagt: Es gibt nach dieser Ansicht keinen höheren Sinn in dem, was wir tagtäglich erleben, keine göttliche Fügung, die unseren Lebenslauf lenkt und der wir uns anvertrauen können. Das scheint der Konsens der vielen, zumindest die in Medien, Schulen und Universitäten verbreitete öffentliche Meinung zu sein. Die Überzeugung, dass allem Geschehen in der Welt der Zufall zugrunde liegt, führt zu ganz bestimmten Gefühlslagen und Schlussfolgerungen, die wir uns näher anschauen müssen.
Die in der Naturwissenschaft heute weltweit vorherrschende Grundannahme klingt etwa so: Du, Mensch, bist lediglich ein Haufen Materie, eine organische, nichttriviale Maschine. Dein Bewusstsein und deine Selbstwahrnehmung sind neurologisch bedingte Illusionen. Du machst dir etwas vor, wenn du meinst, frei entscheiden zu können. In Wirklichkeit wirst du von allerhand biochemischen Prozessen in deinem Organismus, insbesondere in deinem Gehirn, fremdgesteuert. Sogar dein Ich, dein Identitätsgefühl, ist eine Schimäre. Du bist den Naturgesetzen unterworfen, der Kausalität von Ursache und Wirkung. Um zu verstehen, was du tatsächlich bist und wie du funktionierst, brauchst du die Naturwissenschaft. Deine Biologie und Chemie sind indes so kompliziert, dass nur Spezialisten sie mit Hilfe sehr spezieller, technischer Vorrichtungen und Verfahren ergründen und erklären können. Die Spezialisten, das heißt jene, die sich mit einem winzigen Ausschnitt der Realität befassen und von diesem auf das Ganze schließen, erklären dir, welche Ursache hinter welcher Wirkung steht und wie du unerwünschte Wirkungen vermeiden kannst. Nur mit ihrer Hilfe hast du überhaupt eine Chance, dich gegen die Willkür der Natur, die Sinnlosigkeit des Zufalls, zu wappnen. Die Experten reduzieren dich auf das rein Physische. Deshalb nennt man ihr Vorgehen auch reduktionistisch.
Reduzieren heißt wörtlich zurückführen. Entscheidend in Hinblick auf die Wahrheitssuche ist natürlich die Frage, wie weit man diese Reduktion betreibt. Wenn ich eine Pflanze auf das Wesentliche zurückführen möchte, dabei aber nicht die Wurzeln in Betracht ziehe, einfach weil sie meinem Blick verborgen bleiben, kann ich natürlich nicht zu einer ganzheitlichen Erkenntnis gelangen. Ich betrachte das, was in Erscheinung tritt, und leugne die Existenz einer verborgenen Seite des Seins. Die meisten naturwissenschaftlichen Spezialisten unserer Zeit tun genau das. Sie beenden ihre Ursachenforschung vorzeitig, nämlich bei den kleinsten Teilchen, den materiellen Bausteinen der menschlichen Biomaschine. Von dort aus kommen sie nicht mehr weiter, weil die Funktionen der Proteine zum Beispiel nichts über die Beziehungen eines Menschen oder die Wege seines Schicksals aussagen. Da sie solches nicht erfassen können, nennen sie es unerklärbar. Ja schon die Frage nach einem Sinn des Lebens weisen sie als Ausdruck eines Irrtums zurück. Stattdessen machen sie achselzuckend einen Schlussstrich unter ihre Reduktion und erklären alles Weitere zum Zufall. Am Ende ist alles Zufall oder, was auf dasselbe hinausläuft, im Anfang war der Zufall.
Auf der Grundlage dieser Annahme entwickeln die naturwissenschaftlichen Experten ihre große Erzählung von der Menschenkreatur als Zufallsprodukt des Universums, eine spontane Konzentration verschiedener Aminosäuren in einem Klumpen organischen Gewebes. Wir seien nur dieses. Alles gehe daraus hervor, nicht nur unsere Begierden, auch unsere Gefühle und Gedanken. Unser Organismus sei schwach und mangelhaft ausgebildet, degeneriere schnell, altere praktisch von Geburt an und sei wehrlos allerlei Krankheitserregern ausgesetzt. Weil dem so ist, seien wir nicht in der Lage, uns selbst, wie es technisch formuliert wird, zu steuern. Gut, wir haben gelernt, unseren Schließmuskel zu beherrschen, aber schon unseren Mund haben wir nicht im Griff. Unseren Rachen könnten wir nicht vollkriegen. Unser Hunger sei unersättlich. Wie sollen wir acht, zehn oder gar zwölf Milliarden auf dieser Erde ernähren? Unsere maßlose Reiselust und nervöse Umtriebigkeit bringen uns die Klimakatastrophe, ein unbezwingbarer Reproduktionsdrang und ein irrationaler Kinderwunsch treiben uns in die Überbevölkerung. Nein, in den entscheidenden Bereichen unserer Existenz können wir uns nicht selbst steuern und deshalb brauchen wir eine Fremdsteuerung.
Ist das eine Lüge? Ist diese Grundannahme vielleicht sogar die Lüge schlechthin? Auf der Suche nach einer Antwort schaue ich mir an, wozu sie geführt, was diese Ideologie bewirkt hat! Uns wurde über Jahrzehnte eingetrichtert und glauben gemacht, wir seien ohnmächtige Geschöpfe, eingesperrt in den illusorischen Bildern unseres Gehirns, geschlagen mit einer krankheitsanfälligen Natur und grundlos in ein sinn- und liebloses Dasein geworfen.
Schuf diese „Glaubenslehre“ nicht die psychische Voraussetzung für das, was dann im Lockdown physisch wurde, nämlich die Isolierung jedes Einzelnen, die Atomisierung der Gesellschaft? Es braucht keine analytische Meisterleistung, um festzustellen, dass und das Wir fehlt. Stattdessen leben wir in einer Zeit der Wirren.
Wie können Gedanken und Theorien, die uns spalten, die uns einsperren und zu blinden, fremdgesteuerten Einzelkämpfern machen – wie der Neurokonstruktivismus, der Solipsismus oder sonstige materialistischen Ideologien – jemals wahr sein? Das, was einen Keil zwischen mir und den anderen treibt, was mir und jedem anderen Menschen die grundsätzliche Fähigkeit zur Verständigung und Einfühlsamkeit, erst recht zur Hingabe und Liebe abspricht, kann ich nur als eine Lüge betrachten. Die jetzige Krisenzeit, die Angstpandemie, hat uns allen klar vor Augen geführt, wohin materialistische Ideologien uns führen. Der Weg führt nicht weiter, da ist ein Abgrund. Was also tun? Soll ich meine Mitmenschen warnen, sie über Irrtümer und destruktive Glaubenssätze aufklären? Ich spüre, das wäre vermessen, denn ich weiß sehr wohl, dass noch viel Lüge in mir selbst, in meiner Person, steckt. Deshalb gehe ich ja jetzt durchs Feuer.
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