Licht aus dem Abgrund

Kindermord

Staatlich sanktionierter Kindermord war immer schon das scheußlichste Merkmal der Barbarei. Schon in der Bibel kommt er mehrfach zur Sprache. Im 2. Buch Mose befiehlt ein um seine Macht bangender Pharao Israels Hebammen alle neugeborenen Söhne ihres Volkes zu töten. Laut dem Midrasch, einer sehr alten hebräischen Überlieferung, veranlasst ein anderer Herrscher, der gewaltige Jäger-König Nimrod, die Tötung aller Neugeborenen, um das Aufkommen Abrahams zu verhindern. Und im Matthäus-Evangelium heißt es, König Herodes lässt wutentbrannt sämtliche Knaben in Bethlehem und Umgebung töten. Doch das Verbrechen gibt es auch in der konkreten Welt unseres Daseins. So halten sich hartnäckig Gerüchte über rituelle Kindermorde und Kinderopferungen. Verantwortlich dafür seien, so heißt es, satanische Kreise, zu denen sich mächtige Personen aus Kirche, Politik und Wirtschaft zusammengeschlossen hätten. Derart schaurig und grässlich sind die Praktiken, über die ausgesagt wird, dass man sie reflexhaft ins Reich der Ammenmärchen und Gespenstergeschichten verweisen möchte.

Doch auch diesseits solcher grausigen Berichte, die man glauben mag oder nicht, sehen wir das Leben vieler Kinder bedroht. Anders als die Apologeten von Technik und Fortschritt gerne behaupten, haben wir die Rohheit und Brutalität früherer Jahrhunderte keineswegs hinter uns gelassen. Zumindest scheint ein Kinderleben in der angeblich doch so zivilisierten Moderne des 21. Jahrhunderts nicht viel zu zählen. Und wieder sind es die Herrscher, die Könige dieser Welt, die den Kindern nach dem Leben trachten. Mit allen Mitteln der Propaganda und Manipulation drängen sie die Jüngsten dazu, an einem gefährlichen medizinischen Experiment teilzunehmen. Sie lügen, locken und vertuschen. Wider besseres Wissen fordern sie eine Behandlung, genauer gesagt auf einen Eingriff in ihre Genetik, die doch eindeutig eine Körperverletzung darstellt, im schlimmsten Fall sogar mit Todesfolge. Mehr noch, sie preisen sie als Schutzmaßnahme an, als Akt der Solidarität, und beschimpfen jene, die Bedenken äußern oder sich weigern, sich ihrem Diktat zu unterwerfen.

Was treibt die Herrschenden an? Sind sie wahnsinnig geworden? Was bedeutet dieser Angriff auf das Kind? Um den tieferen Grund dieser Missachtung zu erforschen, empfiehlt es sich, danach zu fragen, wofür das Kind und das Kindliche in unserem Leben stehen.

Vor allem in seinen ersten sechs, sieben Lebensjahren kümmert sich das Kind im Allgemeinen wenig um die Werte und Maßstäbe der erscheinenden, materiellen Welt. Es lebt offensichtlich noch stärker in der geistigen Sphäre, bewegt sich, könnte man sagen, in einer Traumwelt, in der alles möglich ist. Es weiß nichts von physikalischen Gesetzen oder Verstandeskategorien, schert sich nicht um Schwerkraft, Zeit und Raum. In seiner Beziehung zum Jenseits, die für es natürlich und selbstverständlich ist, fühlt es sich beschenkt und geborgen. Jeden Tag staunt es über den Reichtum und die Fülle, die sich ihm in der Begegnung mit der Welt offenbart. Wir Erwachsene sagen, es lebt in der Fantasie, und in dieser Beurteilung schwingt schon eine Abwertung mit. Denn für unseren rationalen Verstand ist das Fantasierte, das bloß spielerisch Vorgestellte, nicht real. Wir sind gewohnt, die geistigen Fähigkeiten des Kindes im Zeichen des Mangels zu sehen. Es fehlt ihm, sagen wir, an Logik und Verstand. Es ist nur bedingt in der Lage, kausal zu denken.

Die mythischen Herrscher Pharao, Nimrod oder Herodes fühlen sich vom Kind in ihrer Herrschaft bedroht. Seitdem ich als junger Mann voller Wissbegierde die Schriften des Tiefenpsychologen C.G. Jungs las, weiß ich, dass ein Mythos immer auch, vielleicht sogar primär innere Vorgänge beschreibt. Es ist also sinnvoll, mich zu fragen, welcher „Herrscher“ in mir sich vom Kind bedroht fühlt, von all dem, was das Kind mit seiner Lebensart repräsentiert. Die Antwort folgt auf dem Fuße. Es ist das auf Rationalität und Vorhersagbarkeit, mithin auf Kontrolle pochende Ego. Ego ist der in einem prächtigen Palast residierende Herrscher des Diesseits, der nach außen hin zeigt, wohin er es in dieser Welt gebracht hat, innerlich aber von Sorgen und Ängsten geplagt wird. Im Kern seines aufgeblähten Wesens weiß Ego, dass seine Macht auf tönernen Füßen steht, aber es tut alles, diese Erkenntnis zu verdrängen. Ausgerechnet das wehrlose Kind erinnert es daran, dass die Welt der Erscheinungen, der prunkvollen Äußerlichkeiten, nicht das Wesentliche ist.

Mit seinem unbekümmerten Dasein stellt es Egos Macht in Frage. Das kann dieser Herrscher nicht tolerieren und deshalb muss er das Kind aus seiner Welt verschwinden lassen.

In einer Leistungsgesellschaft wie der unseren stört das Kind. Es ist im wörtlichen Sinne unbrauchbar und muss durch Schulung, Training, Disziplin dahin gebracht werden, nützlich zu sein. Nützlich wozu? Nützlich für wen? Man erklärt, es solle seinen Teil zum Erhalt und zur Weiterentwicklung unserer Zivilisation beitragen. Es solle in der Lage sein, brauchbare Arbeiten zu verrichten, so dass es sich selbst versorgen und nach Herzenslust konsumieren kann. Man müsse es, so sagt man, fit für die Zukunft machen, das heißt dafür sorgen, dass es in das rauschhaft geplante und vorausberechnete technologische System hineinpasst. Davon hätte es doch selbst den größten Nutzen. Als nichtstaatlicher Lehrer habe ich diese Auffassung lange Zeit vertreten. Aber nun, am Ende von 33 Berufsjahren, ziehe ich eine solche Rechtfertigung unseres Schulsystems zunehmend in Zweifel. Es geht um mehr, um Grundsätzlicheres.

Hinter der „vernünftigen“ Begründung des Nützlich-Machens unserer Kinder sehe ich noch eine ganz andere Absicht.

Die materialistische Welt, in der wir leben, kann die offenbare Spiritualität des Kindes, seine gelebte Beziehung zur geistigen Welt, nicht dulden, nicht sein Wunderglauben, nicht die ihm innewohnende Kreativität, die unbändige Spontaneität und erst recht nicht die Gesetzlosigkeit seiner Fantasie.

Das Kinderspiel, bei der oftmals Logik, Raum und Zeit außer Kraft gesetzt werden, betrachtet man als Unsinn, man kann und will es nicht ernst nehmen. Es „bringt“ ja nichts. Mehr noch, man empfindet Kindes Treiben als Bedrohung, weil darin der starke, intensive Bezug zur Gegenwart zum Ausdruck kommt. Man spürt, dass die Beziehung des Kindes zur unmittelbaren Umgebung von einer großen Lebendigkeit geprägt ist. Die Zukunft ist ihm egal, eine völlig unwirkliche Größe, ein gedankliches Konzept, mit dem es nichts anzufangen weiß. Damit stellt es ungewollt unser gehetztes Leben, unser ehrgeiziges Streben nach Erfolg, Belohnung und Besitz, in Frage, denn diesem liegt immer die Vorstellung eines Später zugrunde. Jetzt musst du Zwang, Kummer und Langeweile erdulden, aber später wirst du dafür ein schönes Leben haben.  

Sofern wir gefangen sind in den Zwängen der Leistungsgesellschaft, sofern wir das Nützlichkeitsdenken verinnerlicht haben, erleben wir schon Kindes Dasein als einen Widerspruch, einen Angriff auf unsere Werte. Das Kind macht gar nichts, will uns gar nichts wegnehmen, aber seine Offenheit für das andere, das Unsichtbare und Traumhafte, lässt eine Erinnerung, eine Ahnung von Einheit in uns anklingen, einer Einheit, die unsere Selbstbehauptung in der materiellen Welt kläglich armselig aussehen lässt. Wir waren doch auch einmal Kinder. Was ist aus diesem Kind geworden? Wo ist es geblieben?

Wie alle Bibelworte sind die Kindermord-Erzählungen dort keine historischen Berichte, sondern Sinnbilder von tiefer, zeitloser Bedeutung. Im Lichte des Geistes betrachtet, zeigt sich uns der Kindesmord als ein Bild für die Tötung unseres inneren Kindes. Aber was bedeutet das? Noch vor kurzem hielt ich das Gerede vom inneren Kind für eine Schwärmerei, ein bisschen albern, auch etwas peinlich. Allzu süßlich und sentimental kamen mir die Worte und Lieder der Verehrung daher und die Anhänger des inneren Kindes überzeugten mich nicht, vielleicht weil sie ihre Zuneigung zu sehr nach außen trugen, einen Kult daraus machten. Doch inzwischen lernte ich verstehen, dass es nicht um nostalgische Kindheitserinnerungen, nicht um den Rückfall auf eine frühere Stufe der Entwickelung oder die Freisetzung von Trieben geht, sondern um Hingabefähigkeit, uneingeschränktes Vertrauen, Unschuld.

Das innere Kind erlaubt uns, in der Gegenwart zu sein, mit allen Sinnen wahrzunehmen, spontan auf Impulse zu reagieren und spielerisch das Übersinnliche, Traumhafte mit einzubeziehen. Es verkörpert das Vertrauen, dass für uns gesorgt wird, dass unsere geistigen Helfer es gut mit uns meinen.

Dieses Vertrauen hat in der materialistischen Welt keinen Platz, liegt in ihm doch die Anerkennung beschlossen, dass der Geist über die Materie herrscht oder, religiös ausgedrückt, dass die erscheinende Welt eine Schöpfung Gottes ist. Deshalb setzen ihre ungeduldigen, aggressiven Macher und Machthaber alles daran, jegliches Gottvertrauen zu vernichten. Der Glaube wird als Aberglaube, das wache Sein in der Gegenwart als Träumerei und jede Beziehung zum Geistigen als psychische Krankheit diffamiert. Ewiges Sein, so heißt es, ein Sein jenseits der linearen Zeit, gibt es nicht, nur endlose, immerzu fortschreitende Entwicklung. Wir sollen gar nicht sein, wir sollen haben und habenwollen. Wir sollen uns nicht sicher fühlen, nicht aufgehoben in der Obhut des Geistes, sondern schutzlos und ständig bedroht. Es gilt daher, jedem Menschen möglichst früh das Kind auszutreiben, ihn unter das Joch der materiellen Gesetze zu zwingen, sein Denken an die Formwelt zu fesseln und ihm einzutrichtern, dass er nur auf der Grundlage des hier Erscheinenden seine Zukunft „machen“ kann. Von Früh auf sind wir den Botschaften der Geistleugner ausgesetzt: Indem du fleißig produzierst, egal was, und gierig konsumierst, egal was, wirst du eines Tages glücklich sein. Von nichts kommt nichts. Sieh zu, dass du dir dein Stück vom Kuchen sicherst! So stellt sich das Verschwinden der Kindheit heute dar. Auch das ist Kindermord. Und wir sind Täter und Opfer zugleich.

Mir scheint es wichtig, diesen Umstand immer wieder zu bedenken. Das hilft mir zu verstehen, was die „Kindermörder“ antreibt und worauf es jetzt ankommt. Es wäre es nicht gerecht, ich weiß es wohl, den Machtgierigen und Kontrollbedürftigen, den Zwanghaften und Misstrauischen, den Intoleranten und Ehrgeizigen nur draußen in der Welt auszumachen, gar billig, gegen sie zu polemisieren. Wir wissen doch ganz genau, dass wir uns etwas vormachen, wenn wir sagen: Böse sind die anderen, nur die anderen. Es stimmt schon, die Machthaber und Strippenzieher aus der undurchsichtigen und unseligen Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft können die heutigen Kinder schikanieren, sie in eine unheilvolle Richtung zwingen, sie indoktrinieren und ihnen die Kindheit verderben, aber für das innere Kind bin ich selbst zuständig. Die Übeltäter dieser Welt sind letztlich verblendet und verwirrt, wie jeder, der meint, sich selbst zur Gänze rational verstehen zu können. Sie machen sich etwas vor. Sie wissen doch selbst nicht, welcher Teufel sie reitet. Bevor ich den Stab über sie breche, sollte ich mir in der Stille der Abgeschiedenheit fragen, wo und wer meine inneren Übeltäter sind, wo ich selbst das Schöpferische und ewig Seiende leugne, wo mir der Glauben fehlt, wo ich das Kind in mir verkenne, verdränge und verwahrlose.

Es sind keine satanischen Eigenschaften, die die Leute dazu bringen, Dinge zu tun, die lebensfeindlich sind. Wir haben es mit gewöhnlichen menschlichen Unzulänglichkeiten zu tun: einer beschränkten Denkweise, einer Überbewertung des Verstandes, einem Mangel an Selbstforschung, fehlender Sensibilität für Intuitionen, einem starken Verhaftetsein in der Sinnenwelt, Vergesslichkeit, Angst und der Unfähigkeit, zu lieben.

Weil sie menschlich und gewöhnlich sind, finde ich diese Unzulänglichkeiten natürlich auch alle in mir. Dort muss ich, dort nur kann ich ansetzen, wenn ich etwas ändern will.

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