Eine Kontemplation
Glaube
Viele Menschen bezeichnen sich heute als spirituell und einen spirituellen Weg zu gehen, Ganzheit aktiv anzustreben, wird als normal und vernünftig angesehen. Dagegen wirkt das Wort „Glaube“ wie ein Relikt aus vormoderner Zeit, vielleicht auch, weil es häufig mit Kirche und Konfession assoziiert wird. Wenn ich mich als „gläubig“ bezeichne, hält mich mein aufgeklärter Mitbürger schnell für etwas naiv, unbedarft oder auch bigott. Der Gläubige, so urteilt der materialistisch geprägte Mainstream, sei nicht auf der Höhe der Zeit, weigere sich, die großen Entdeckungen der Naturwissenschaften zur Kenntnis zu nehmen, hänge an der liebgewonnenen Vorstellung eines gütigen Vaters im Himmel.
Was sogleich auffällt, ist die Gleichsetzung des Glaubens mit seinem Inhalt, also dem jeweils Geglaubten. Folglich sagt man, ich habe diesen oder jenen Glauben. Das hat dazu geführt, dass der Glauben zu einer Art Arbeitshypothese verkam, einer bloßen Vermutung, die durch Beweise entweder bestätigt oder widerlegt wird. In diesem Sinne benutzen wir das Wort „Glauben“ tagtäglich. Man hat sich zum Beispiel erkältet und sagt: Ich glaube, ich habe mich gestern in dieser oder jener Arztpraxis angesteckt. So etwas ließe sich prinzipiell nachweisen, etwa durch das Zurückverfolgen der Infektionskette. Dann wüsste man, was Sache ist, und könnte sagen: Ich weiß, dass ich mich gestern dort oder eben nicht dort angesteckt habe. Was soll man da noch glauben?
Grundsätzlich bezieht sich der Glaube auf das, was sich unserer Sinneswahrnehmung entzieht – egal ob Krankheitserreger und Vitamine oder Seelen und Götter. Ich kann zum Beispiel keine sogenannten Elementarwesen wie Gnome oder Elfen sehen. Es gibt aber Menschen, die von sich behaupten, solche Geschöpfe auf übersinnliche Art wahrzunehmen. Ich kann ihnen und damit auch an die Existenz von Gnomen und Elfen glauben. Würde ich aber meine übersinnlichen Fähigkeiten so weit schulen, dass ich schließlich in der Lage wäre, derlei Wesen selbst zu „sehen“, hätte sich dieser Glaube erübrigt. Ich wäre dann nicht länger ein Glaubender, sondern ein Wissender.
Tiefer geschaut hat hier Rudolf Steiner, der den Glauben als eine „Anzahl von Kräften“ der menschlichen Seele betrachtet. Es gehe deshalb gar nicht darum, den Glauben durch Wissen zu ersetzen, ihn überflüssig zu machen. „Das Wissen“, so Steiner, „ist nur die Grundlage des Glaubens. Wir sollen wissen, damit wir uns immer mehr zu den Kräften erheben können, die die Glaubenskräfte der menschlichen Seele sind.“ (GA, 130, Seite 173) Der Glaube wäre damit eine Kraft, die unseren Blick über das Schwere und Dunkle der irdischen Existenz hinaushebt, die uns hilft, Angst und Sorge zu überwinden.
Es geht also beim Glauben um etwas qualitativ anderes als das jeweils Geglaubte. Um mich diesem anderen anzunähern, verweise ich zunächst auf ein Bild, das uns mit der biblischen Geschichte vom ungläubigen Thomas überliefert ist. Im Johannesevangelium erfahren wir von einem Jünger Christi, der nicht glauben kann, dass sein Herr vom Tode auferstanden ist. Er denkt im Grunde ganz diesseitig und verkündet, das Unerhörte erst glauben zu wollen, wenn er die Wundmale des Auferstandenen mit seinen Fingern tatsächlich berührt hat. Anders gesagt, er verlangt einen Beweis. Und den bekommt er auch, doch Christus erwidert: „Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ (Joh. 20,29)
Warum sind diejenigen selig, „die nicht sehen und doch glauben“? Ist das ein Aufruf zum blinden Gehorsam? Verbirgt sich dahinter gar eine Erkenntnisfeindlichkeit? Keineswegs, wie ich meine. In einer seiner Reden erzählte Krishnamurti folgende Parabel. Ein Bergwanderer geht einen schmalen, steinigen Weg entlang. Neben dem Pfad fällt das Gebirge steil ab. Plötzlich gerät er ins Rutschen und droht in die Tiefe stürzen. Er kann sich gerade noch am Rand eines Felses festklammern. Nun hängt er über dem Abgrund, unfähig sich aus seiner misslichen Lage zu befreien. In seiner Not betet er zu Gott und zu seiner Verblüffung wird sein Gebet erhört. Gott spricht zu ihm und sagt: „Es ist alles gut. Hab Vertrauen! Lass los!“ Doch dieses Vertrauen hat der Unglückselige nicht. Und so ruft er verzweifelt um Hilfe, gegen die Wahrscheinlichkeit damit rechnend, dass ihn irgendein anderer Wanderer hört und rettet. Seine Todesangst, könnte man sagen, ist stärker als seine Liebe zu Gott. Ohne die Versicherung, dass wirklich alles gut werde, kann er nicht loslassen.
Der chassidische Mystiker Friedrich Weinreb wies öfter daraufhin, dass im Hebräischen das Wort für Glaube (אמונה sprich: ‚emunA) die gleiche Wurzel hat wie das Wort für Vertrauen (אמון sprich: ‚emUn) und das für Treue (נאמנות sprich: ne’emanUt). Wir sprechen ja auch von Gottvertrauen, wenn wir uns auf eine geistig-göttliche Führung in unserem Leben verlassen. Dann geben wir uns dieser Führung hin. Der reine Glaube, und das ist immer der Glaube, der ohne Beweise auskommt, ermöglicht erst die Hingabe, also eine vertrauensvolle Hinwendung aus freien Stücken. Ich vertraue, blind könnte man sagen, auf die Güte Gottes. Würde mir nachgewiesen werden, dass es gut für mich wäre, an Gott oder einen alles durchdringenden Geist zu glauben, wäre ich aufgrund der Beweisführung genötigt, die Tatsache seiner Existenz akzeptieren und seine Autorität anzuerkennen. Ich sähe mich im Grunde von bestechenden Argumenten korrumpiert und hielte es für nützlich oder zweckdienlich, diesem nachgewiesenen Gott die Treue zu halten. Anstatt stiller, vertrauensvoller Hinwendung würde ich mich auf ein berechnendes Taktieren verlegen. Mit meinem Glauben verlöre ich zugleich meine Freiheit.
Ich lese bei einem bekannten Quantenphysiker, dass durch die Beobachtungen der modernen Physik „Evidenz für die Existenz Gottes“ gefunden wurde.[1] Das klingt großartig und ich frage mich, was das wohl für „Beobachtungen“ sind. Handelt es sich um eine mystische Gottesschau, ein besonders reines Hellsehen „von Angesicht zu Angesicht“, wie Paulus sagen würde, um die erleuchtete, unsere Zeit transzendierende Wahrnehmung eines Buddha? Mitnichten! Diese Beobachtungen der modernen Physik kommen ausschließlich mit Hilfe von Radioteleskopen und Elektronenmikroskopen zustande. Es handelt sich mit anderen Worten um eine technisch optimierte Betrachtung von Materie. Aber um darin den Beweis für die Existenz Gottes zu sehen, brauche ich keine „moderne Physik“. Jeder Baum, den ich betrachte, jeden Sonnenaufgang, die Augen eines Mitmenschen, das Licht in den Bergen, mithin die gesamte Schöpfung kann ich als Ausdruck eines immerwährenden Schöpfers erleben. Diese moderne Physik befriedigt im Grunde nur das Bedürfnis des Verstandes, der stets mit unwiderlegbaren Beweisen und einer folgerichtigen Argumentation überzeugt werden will. Es ist für mein Gefühl ein ziemlich kläglicher Gott, der mir bewiesen werden muss.
Liebe
Während der Begriff Glaube etwas aus der Mode geraten ist, erlitt der Begriff „Liebe“ eher das entgegengesetzte Schicksal. Er ist in aller Munde und vom häufigen, undifferenzierten Gebrauch fast bedeutungsleer geworden. Für die einen ist alles Liebe, die Anziehung zweier Magnete, die Verschmelzung von Mann und Frau, die Opferbereitschaft des Soldaten an der Front oder die Anhänglichkeit eines Hundes. Ja sogar Kannibalismus könnte als primitiver Ausdruck der Liebe verstanden werden, spricht doch auch der Volksmund davon, dass man jemanden, den man sehr mag, „zum Fressen gernhat“.
Dagegen sehen andere derlei Beispiele nur als Ausdruck übermächtiger Triebe und bezweifeln, dass wirkliche Liebe überhaupt existieren kann. Trotz aller Verwirrung ist das Wort „Liebe“ aber immer noch positiv besetzt. Oberflächlichkeit, Ironie oder Zynismus haben ihm im Kern nicht viel anhaben können. Nur gilt es jetzt, auch hier zu dieser Essenz zurückzugelangen.
Die Liebe ist essenziell ein Wunder insofern, als es etwas ist, das sich tatsächlich nicht aus den Naturgesetzen herleiten lässt. Gesetze stellen feste Verbindungen zwischen Ursachen und Wirkungen dar. Das Muster ist immer das gleiche: Wenn dies, dann das. Wenn ich einen Ball hochwerfe, wird er wieder herunterkommen. Was geboren wird, wird sterben. Sofern wir körperliche Erscheinungen sind, sind auch wir Gesetzmäßigkeiten unterworfen. Wenn etwa in unserem Körper bestimmte Hormone freigesetzt werden, kommt es zu emotionalen oder motorischen Reaktionen, die damit korrelieren. Die Hormonproduktion ist ihrerseits eine Reaktion auf einen bestimmten Reiz, etwa in Form eines Duftstoffes. Alle Phänomene der Welt, seien es Wetterphänomene, menschliche Verhaltensweisen, wechselnde Mondphasen oder Umweltverschmutzungen, können auf Ursachen zurückgeführt werden. Immer kann man sagen, weil dies gegeben ist, wird jenes geschehen. Und so lässt sich vieles tatsächlich vorhersagen oder gar im Voraus berechnen.
Nicht so die Liebe! Sie hat keine Ursache, ist durch nichts bedingt, sondern in jedem Moment eine Neuschöpfung, ein kreativer Akt. Deshalb ist die Liebe im wahrsten Sinne des Wortes unberechenbar, unvorhersehbar. Man kann sie weder kaufen, noch erzwingen, noch überreden oder herbeilocken. Sie hat, könnte man sagen, kein Karma, schuldet niemandem etwas, steht über dem Gesetz von Ursache und Wirkung. Es gibt keine Bedingung, die ich erfüllen muss, um geliebt zu werden. Aber genauso gilt, dass ich keine Bedingung erfüllen kann, damit die Liebe erblüht. Wo immer Bedingungen gestellt werden, entfernt sich die Liebe. Sie ist ihrem Wesen nach ein Geschenk oder – religiös ausgedrückt – eine Gnade.
Liebe tritt dort ins Leben, wo ich spontan etwas tue, was die Welt nicht erwartet. Das kann etwas Kleines, Unscheinbares sein. In einem S-Bahnzug beobachte ich ein zwei- oder dreijähriges Kind, das beherzt seine Umgebung erkundet. Seine Lebendigkeit steht im auffallenden Kontrast zu den erstarrten Mienen der anderen Fahrgäste. Interessiert verfolge ich, wie die Mutter mit ihrem Kind kommuniziert. Als sie aufschaut und unsere Blicke sich kreuzen, lächle ihr zu, und sie lächelt zurück. Damit durchbrechen wir für einen kurzen Moment die kalte, unpersönliche Zielstrebigkeit im Großstadtgetriebe. Ich erwarte nichts von meinem Lächeln, will nichts erreichen oder gewinnen, werde diese Fremde womöglich nie wieder sehen. Doch in diesem kurzen Augenblick kommt es zur Begegnung von Mensch zu Mensch. Es leuchtet etwas auf, was nicht vorgesehen ist, und mitfühlend erkenne ich mich als Mensch im anderen. So wie ich selbst, versucht auch dieser so gut wie möglich mit den Herausforderungen des Lebens zurechtzukommen. Diese geteilte und mitgeteilte Menschlichkeit verbindet uns.
Die Liebe verlangt nicht nur keinen Beweis, sie verträgt auch keinen. Der Beweis nötigt mich zum Einlenken, zum Akzeptieren. Aber die Liebe bedarf der Freiheit. Ich kann meiner Frau noch so oft Blumen schenken, von meiner Liebe kann ich sie damit trotzdem nicht „überzeugen“. Vielleicht habe ich vielmehr Angst, sie könnte mich verlassen, vielleicht will ich sie anhänglich oder gar gefügig machen. Und sie könnte misstrauisch werden und sich insgeheim fragen, warum ich ihr bloß so oft Blumensträuße überreiche. Suche ich damit vielleicht etwas zu kompensieren, gar zu vertuschen? Man merkt sogleich, dass die Liebe auf einem anderen Blatt steht. Sie kann in der Darreichung von Blumen zum Ausdruck kommen, aber das Mitbringsel selbst kann die Liebe weder wecken noch unter Beweis stellen. Eifersucht vergiftet auch deshalb jede Beziehung, weil sie vom anderen „Liebesbeweise“ fordert, deren Ausbleiben sie als Untreue und Ablehnung interpretiert.
Gott beweist mir nicht seine Allmacht, genauso wenig, wie er meine Treue oder mein Wohlverhalten belohnt. Derlei Demonstrationen seiner Größe würden meine Entscheidungsfreiheit zunichtemachen. Ich soll ihn ja nicht deswegen lieben. Im Grunde kann ich gar nicht wegen irgendetwas lieben, nicht, wenn die Liebe bedingungslos sein soll. Als Liebender stellt Gott keine Bedingungen; das ist nicht seine Art. Er lässt sich aber auch nicht auf meine Bedingungen ein. Genauer gesagt, erreichen sie ihn gar nicht, da er jenseits der Kausalität des wenn…dann ist. Doch dass er in mir ist und ich in ihm, schafft eine Intimität, in der Liebe erwachen kann.
Hoffnung
So wie das Wort Glaube ist für viele heute auch das Wort Hoffnung von einer Aura des Antiquierten, irgendwie Rückwärtsgewandten umgeben. In einer Welt, in der die Tat und das Tun hoch im Kurs stehen, wirkt die Hoffnung wie ein Ausdruck von Antriebslosigkeit, fehlender Energie und Schicksalsergebenheit: Man kann nichts machen, es bleibt nur noch, zu hoffen.
So gesehen, ist Hoffnung etwas für untätige, vielleicht sogar fatalistische und auf jeden Fall immerzu abwartende Leute. Man spürt förmlich, wie sich der Zeitgeist darüber erhebt und mir zuruft: Nimm dein Schicksal in die eigene Hand und du brauchst nicht länger hoffen! Doch da hat er etwas missverstanden, der Zeitgeist. Zumindest bedeutet Hoffnung für mich etwas völlig anderes.
In seiner Essenz ist Hoffnung immer die Hoffnung auf ein Wunder. Ich hoffe auf das, was die Dominanz der Naturgesetze und der Kausalität dieser Welt durchbricht und sie für einen Moment der Ewigkeit aufhebt. Der legendäre griechisch-armenische Lehrer des Seins Georg Iwanowitsch Gurdjieff meinte einmal sinngemäß, ein Wunder sei die Offenbarung eines Gesetzes aus einer anderen Dimension. Folgt man dieser Sichtweise, wird klar, dass die Hoffnung innig mit dem Glauben verbunden ist. Denn die Vorstellung einer anderen, jenseitigen Dimension des Seins kann ich nur akzeptieren, wenn ich an sie glaube. Damit ist nicht nur der Glaube, sondern auch die Hoffnung etwas höchst Positives und Aktives. Es erfordert Mut, seine Zweifel, die vielen Bedenken des Verstandes, zu überwinden und uneingeschränkt seine Hoffnung in die Weisheit und Güte des universellen Geistes zu setzen – und zwar in der klaren Gewissheit, ein Wunder nicht „machen“ oder „tun“ zu können.
Es ist wichtig zu verstehen, dass die Hoffnung in ihrer Essenz immer über die erscheinende Welt hinausweist. Würde ich etwa darauf „hoffen“, dass andere Leute meine Probleme lösen, wäre ich bloß bequem, mutlos oder unverantwortlich. Ein solches Hoffen ist im Grunde gar keins, sondern vielmehr eine verkappte Erwartung, ein Anspruchsdenken. Ich erwarte also nicht, dass andere die Dinge für mich in Ordnung bringen. Allerdings kann das Wunder sehr wohl durch andere Menschen in mein Leben einbrechen. Nur ist es mir nicht möglich, es aktiv herbeizuführen, es quasi zu erzwingen. Gleichwohl kann ich etwas dafür tun, dass es bei mir sein darf. Und für diese positive Einstellung bin ich allein verantwortlich. Es empfiehlt sich immer, wachsam und achtsam zu sein.
Dazu gehört, dass ich mich der Kritik sogenannter Realisten, die konsequent mit der Wiederholung ihrer früheren Erfahrungen rechnen, widersetze. „Es war schon immer so und es wird auch immer so bleiben“, halten mir die „Wirklichkeitsmenschen“ entgegen und zählen zum Beweis die Enttäuschungen der Vergangenheit auf. Mein Hoffen sei vergebens, weisen sie mir nach, und ich mache mir damit bloß etwas vor. Vielleicht haben sie einst selbst versucht, die Welt und die Menschen zu verändern, und sind an der Beharrlichkeit der Naturgesetze, wozu ja auch unser Selbsterhaltungstrieb gehört, gescheitert. Ich kann mir gut vorstellen, dass solche Misserfolge sehr ernüchternd wirken. Nüchtern und pragmatisch im Leben zu stehen, ist durchaus empfehlenswert. Zu einem glücklichen, spirituell erfüllenden Leben reicht das aber nicht.
Meiner innersten Sehnsucht entsprechend hoffe ich auf bedingungslose Liebe. In Anbetracht der Umstände unserer materiellen Welt, in der es so oft um Geschäftemacherei geht und es, wie es heißt, nichts umsonst gibt, ist sie unwahrscheinlich, vielleicht ganz und gar unmöglich. Denn hier muss alles einen Zweck erfüllen, das heißt, zu irgendetwas Nutzen sein. Ich möchte schon bedingungslos lieben, merke aber, dass es mir oft nicht gelingt. Ich entdecke so viele Hindernisse in mir und meiner Umgebung, dass ich leicht den Mut verlieren könnte. Nach den Gesetzen dieser Welt ist nicht damit zu rechnen, dass meine Hoffnung in Erfüllung geht. Ich setze also meine Hoffnung auf das, was von jenseits der erscheinenden Welt kommt, auf eine Dimension, in der es kein Gewinn und Verlust gibt, kein Vorher und Nachher, keine Folgerichtigkeit im Sinne der linearen Zeit.
Dass die Hoffnung, so ein geflügeltes Wort, zuletzt stirbt, verstehe ich nicht als Hinweis auf die Unbelehrbarkeit des Hoffenden, sondern als die Feststellung, dass es unter allen Umständen weise ist, solange man lebt, auf das Wunder der Rettung, die rettende Wende, zu hoffen. Unbelehrbar erscheint der Hoffende nur, wenn man ihn ausschließlich nach den Kriterien der materiellen Welt beurteilt. Doch der Hoffende ist einer, der an eine Welt jenseits dieser Welt glaubt. Er weiß, dass er niemals einen Anspruch darauf hat, dass seine Hoffnung in Erfüllung geht. Er hofft dennoch, nicht aus Trotz, sondern aus Treue zum Guten.
Ohne Glaube herrscht in mir der Zweifel und mein Denken verliert seinen Halt. Ohne Liebe herrscht in mir der Zwiespalt und mein Fühlen findet nicht zum Frieden. Das ist schlimm genug, doch das größte Übel ist die Hoffnungslosigkeit, denn ohne Hoffnung versinke ich in Verzweiflung. Dann ist mein Wollen ohne Kraft und ich bin wie gelähmt meinem Schicksal aufgeliefert. Deshalb schrieb Dante in seiner Divina Commedia über die Pforte der Hölle: „Lasciate ogni speranza voi ch’entrata!“, „Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“ (Hölle, III. Gesang) Die Hoffnung zu verlieren, ist das Schlimmste.
[1] Michael König, Das Urwort. Die Physik Gottes, Scorpio Verlag, München 2010, Seite 9
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