Ernte und Dank

Eine kleine Kontemplation

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Es ist die Zeit der Erntedankfeste und aus diesem Anlass frage ich nach dem, was Ernte und Dank eigentlich bedeuten. Was bedeuten sie äußerlich, im weltlichen Sinne, und was innerlich, spirituell? Schauen wir zunächst auf das Erscheinende! Für uns als Gemüsegärtner oder Landwirte ist die Ernte der Abschluss einer natürlichen Entwicklung. Diese Entwicklung verläuft über verschiedene Phasen, von der Vorbereitung der Erde, übers Säen, Keimen, Wachsen, Blühen und Frucht-Tragen. Im Verlauf dieser Zeit müssen wir gießen, düngen, Unkraut jäten. Zugleich aber hängt die Entwicklung nicht nur von unseren Bemühungen oder von den Kräften der Pflanzen ab. Wir wissen, dass viele geologische, meteorologische und kosmische Umstände eine Rolle spielen. Am Ende des Weges tragen die Pflanzen Früchte – mal mehr, mal weniger.

Damit aber aus den Früchten eine Ernte wird, müssen sie von ihrer Lebensgrundlage getrennt werden – so zum Beispiel bei diesem Kürbis (siehe Abbildung). Wir haben ihn von der üppig ausgetriebenen Pflanze abgeschnitten. Erst nachdem geerntet wurde, ist es möglich, den Ertrag richtig zu begutachten. Nun kann man die Frucht aufschneiden, ihre Konsistenz prüfen, daran riechen, davon kosten, vielleicht sogar eine chemische Analyse durchführen. Die Kürbispflanze weiß nicht, wie der Gärtner ihre Früchte beurteilt, hat keine Ahnung von den Kriterien, die dabei eine Rolle spielen.

Halten wir fest: Die Pflanze bildet Früchte. Der Gärtner sammelt diese zur Ernte. Er ist auch derjenige, der beurteilt, wie die Ernte ausgefallen ist. Ist der Gärtner zufrieden, neigt er wahrscheinlich eher zu Dankbarkeit, als wenn der Ertrag ihn enttäuscht.

Vielleicht schaut der Gärtner nur auf die Masse oder er schätzt besonders die gute Lagerfähigkeit. Es könnte natürlich auch sein, dass es ihm vor allem um einen bestimmten Geschmack geht. Für die Kürbispflanze ist das alles nicht von Bedeutung. Sie sieht ihre Lebensleistung vielleicht eher in den schönen sattgelben Blüten oder in ihren meterlangen Ausläufern. Möglicherweise waren ihr die Früchte dagegen nur lästig, eine schwere Last, die sehr an ihrer Substanz zehrte.

Nun möchte ich vor diesem Hintergrund unser Leben als Menschen in den Blick nehmen. Auch wir durchlaufen eine Entwicklung und auch unsere Entwicklung wird von einer Vielzahl von Umständen und Ereignissen beeinflusst. Doch wie ist das mit unseren „Früchten“? Was betrachten wir als der Ertrag unseres Lebens? Wir können da – so wie bei der Pflanze – auf das Erscheinende, Physische schauen. Wir halten dann nach einer materiellen Ernte Ausschau. Interessanterweise lässt sich das Wort „Ernte“ mit einer geringfügigen Änderung auf diesen Fall anwenden. Denn was kommt heraus, wenn wir die ersten beiden Buchstaben des Wortes „Ernte“ umdrehen? Genau! „Rente“. Wir könnten unsere Rente als den Ertrag unseres Arbeitslebens ansehen. Ist sie üppig, sind wir froh und es ist uns ein Leichtes, dankbar zu sein. Fällt sie dagegen bescheiden oder gar mickrig aus, sehen wir uns vielleicht zu wenig gewürdigt, vielleicht auch getäuscht oder betrogen. Anstatt Dankbarkeit zu empfinden, haben wir eher den Eindruck, mit dem Undank der Gesellschaft konfrontiert zu sein.

Wir spüren allerdings auch, dass die Höhe der Rente, der ganze Umfang der Altersversorgung, wenig über uns und unser Leben als Mensch in dieser Welt aussagt. Die Frage nach dem Ertrag dieses Lebens bleibt offen. Wir sahen bei den von uns sogenannten Nutzpflanzen, dass aus ihren Früchten erst dadurch eine Ernte wird, dass sie von ihrer Lebensgrundlage getrennt werden. Ich meine, so ist es auch bei uns. Der Schnitter kommt und trennt uns von der irdischen Lebensgrundlage, unserem Körper, und erst dann kann der Ertrag des nunmehr beendeten Daseins begutachtet und gewogen werden. Doch da wir keine Pflanzen, sondern Menschen sind, nehmen wir mehr oder weniger bewusst an dieser Begutachtung oder Prüfung teil. Die Ernte wird eingefahren und wir erkennen, wo und was wir im Laufe des Daseins gelernt und geliebt haben, was der Sinn unseres Weges gewesen ist, was sein ewiger Wert ist.

Der Gärtner ist dankbar für die Ernte. Sein Dank kommt erst, wenn der Ertrag da ist. Das kann aber für uns mit Blick auf unser Leben nicht wegweisend sein, diese einseitige Ergebnisorientierung, diese Konzentration auf den Nutzen, den Gewinn. Wie gesagt, wir kennen den „Ertrag“ unseres Lebens nicht. Bilanz wird erst am Ende gezogen. Wir dürfen hoffen, dass uns die Quintessenz nach der Ernte, nach der Trennung von unserer Lebensgrundlage, gezeigt wird. Doch was ist bis dahin? Die Antwort kann nur diese sein, dass unser Dank nicht erst nach der Ernte sei, sondern während des ganzen Weges dorthin. Wir danken also nicht für den Ertrag, den wir ohnehin nicht kennen, sondern für die Möglichkeit, zu wachsen. Wir danken für den Sonnenschein und für den Regen, für die Durststrecken und den Gegenwind, für laue Sommerabende und frostige Winternächte. Damit wäre unser Dank Ausdruck unseres Vertrauens, des Vertrauens, dass all die Umstände und Begegnungen in unserem Leben ihre Bedeutung haben und zu unserem Heil- oder Ganzwerden beitragen. In seiner Essenz ist es der Glaube, dass am Ende das steht, was am Anfang war und ewig ist: die Einheit, die Ganzheit.

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