Woher kommt unser Können?
Was wir in der Welt erfahren, ist ein Spektakel, ein Drama in endlos vielen Akten. Manchmal scheinen sich die Ereignisse zum Guten hin zu entwickeln, dann wieder gibt es Rückschläge. Hin und wieder treten Helden auf, die eine goldene Zukunft versprechen, und wir, die wir uns nach Lichtgestalten sehnen, folgen ihnen bereitwillig. Doch bald treten Ernüchterung und Enttäuschung ein und wir fühlen uns betrogen. Die Bilanz des einstigen Hoffnungsträgers fällt durchwachsen aus; es gibt Licht und Schatten. So sind wir wohl oder übel Teil des Dramas und sehen uns zwischen Bangen und Hoffen hin und her geworfen. Wir spüren, dass in dieser weltweiten schicksalhaften Bühnendichtung gewaltige Kräfte am Werk sind. Sie erschrecken uns, weil wir sie nicht verstehen. Sie machen uns hilflos. Dem Leid in der Welt und vielleicht mehr noch der Gewalt gegenüber fühlen wir uns machtlos.
Aus dem Gefühl der Machtlosigkeit heraus und um die innere Verzweiflung zu bannen, drängt es viele, die Welt zu verändern, sie zu einem besseren, gerechteren, friedlicheren Ort zu machen. Das Schlechte soll verschwinden, die Gewalt endlich aufhören. Manche versuchen das durch politische Aktivitäten zu erreichen, durch neue Gesetze, Aufklärung oder Protest, andere durch die Gründung alternativer Lebensgemeinschaften. Einen besonderen Weg zur Weltverbesserung beschreiten jene, die mit Hilfe der Konzentration auf bestimmte Gedanken den Frieden in der Welt herbeizuführen suchen. Diese positiven Gedanken können mit Liedern, Gebeten oder Visualisierungen in die Welt hinausgetragen werden. Was all diesen Aktivitäten zugrunde liegt, ist zum einen das Bedürfnis, etwas zu unternehmen, tätig zu werden, in das Geschehen einzugreifen, und zum anderen die Überzeugung, dass mit diesen Aktivitäten die Welt und die Verhältnisse, das heißt letztlich die Menschheit insgesamt verbessert werden können.
Gedankenkraft einzusetzen, um die materiellen Verhältnisse zu beeinflussen, ist eine Form von Beschwörung. Beschwörungen haben etwas Magisches. Magie nenne ich das Bestreben, die physische Welt mit Hilfe von Gedanken, Imaginationen oder Worten zu beherrschen und zu verändern. Wir setzen auf die Macht unseres Geistes, um die Welt im Großen oder im Kleinen nach unserer Vorstellung umzugestalten. In der Magie geht es immer um Macht. Und mit der Macht kommt der Zwang. Man „darf“ nur Positives denken oder aussprechen; negative Gedanken, Überzeugungen und Formulierungen würden das Übel heraufbeschwören.
Es erinnert an die Beschwörung der Schlange durch den Flöte spielenden Magier. Man schickt eine Kraft in die Welt hinaus, um das Böse zu bannen. Die süßen Klänge der Flöte, das heißt, die „süßen“ Gedanken an Frieden und Freude, dürfen nicht aufhören, denn sonst wäre die Materialisierung des Guten gefährdet.
Nun wohnt dem Wort unzweifelhaft eine Macht inne, ein schöpferisches Potenzial. Das ist kein neuer Gedanke. Wir finden ihn am Anfang der biblischen Schöpfungsgeschichte, wo Licht entsteht, sobald Gott spricht, oder im Prolog des Johannesevangeliums, wo das Wort mit Gott gleichgesetzt wird. Allerdings, ob und inwieweit wir das schöpferische Potenzial des Wortes nutzen können, hängt von unserem Sein ab. Potenzial heißt Möglichkeit, nicht Wirklichkeit! Zwischen beiden besteht kein geringer Unterschied. Der Mensch birgt gewiss ein gewaltiges Potenzial in sich, aber wir sind noch weit davon entfernt, es ausschöpfen zu können. Offensichtlich ist doch, dass kaum eines unserer Worte die Kraft hat, neue Materie zu erschaffen. Wir kennen alle Situationen aus dem täglichen Leben, in denen viele Worte gemacht werden und gar nichts passiert. Bloßes Gerede, sagen wir dann. Aber auch wenn wir uns konzentrieren, mit Bedacht etwa das Wort „Liebe“ sprechen und ein liebevolles Miteinander imaginieren, passiert es nur zu oft, dass wir bei nächster Gelegenheit erkennen müssen, dass Ängste weiterhin die Macht haben, uns zu beherrschen, ob wir darauf nun aggressiv oder depressiv reagieren.
Imagination heißt auf Deutsch „Einbildung“, doch während sein lateinischer Konterpart eher neutral ist, hat der deutsche Begriff „Einbildung“ eine deutliche Schlagseite ins Negative. Er wird zumeist im Sinne einer trügerischen Vorstellung oder bloßen Fantasie benutzt. Imaginieren meint nichts weiter als das Visualisieren eines Vorstellungsbildes auf dem inneren Sehfeld. Aber sich etwas einzubilden heißt, sich selbst etwas vorzumachen. In der Doppeldeutigkeit des Wortes „Einbildung“ kommt ihre zweifache Natur zum Ausdruck.
Auf der einen Seite haben wir mit der Einbildungskraft ein potenziell schöpferisches Vermögen, das mutmaßlich unbegrenzt ist, und auf der anderen Seite bilden wir uns ein, dass dieses Potenzial bereits Realität ist, dass wir tatsächlich ein Schöpfergott sind, sobald wir uns selbst sagen: „Ich bin Schöpfer.“ Man müsse sich nur selbst davon überzeugen, daran glauben, dann sei es auch so. Aber so etwas kann man sich nicht einreden.
Macht bringt zwangsläufig Versuchung mit sich. Die Versuchung besteht darin, dass wir an Macht und Machbarkeit glauben. Wir meinen, mit Hilfe einer spirituellen Technik die Welt verändern zu können. Anders gesagt, wir vertrauen auf unser Können – und nicht auf Gott. Wir haben eine bestimmte Vorstellung und wollen, dass sie Realität wird. Unser Motto lautet: „Mein Wille geschehe“. Doch dieser Eigenwille ist schwach und so bleiben die Beschwörungsversuche häufig wirkungslos. Das ist kein Unglück, denn immerhin können wir so auch keinen Schaden anrichten. Gefährlicher wird es, wenn wir mit Konzentration und Willenskraft tatsächlich in den Lauf der Dinge oder dem Schicksal der Menschen eingreifen können. Magie und Zauberei sind durchaus real. Ich zweifle keinen Moment daran, dass es möglich ist, mit magischen Techniken phänomenale Ergebnisse zu erzielen. Doch der Mensch, dem es tatsächlich gelingt, kraft seiner Gedanken oder Worte die Naturgesetze zu sprengen und sogenannte Wunder zu wirken, gerät leicht in die Gefahr, sich auf seine Macht etwas einzubilden. Schließlich kann er etwas, wozu die meisten anderen nicht in der Lage sind. Sein besonderes Können nährt seinen Eigendünkel. Sein Ego wird größer und er kennt keine Hingabe.
Hingabe heißt zu erkennen, dass alle Macht von Gott kommt. Wird sie uns gewährt, was sicher ein gewisses Maß an Demut oder Bescheidenheit voraussetzt, so haben wir eine Vollmacht. Diese verpflichtet uns zum uneigennützigen Dienst. Uneigennützig heißt, wir beharren nicht darauf, dass die Welt so sei, wie wir sie uns vorstellen. Es heißt auch, dass wir nicht an der scheinbaren Realität verzweifeln. Wir erkennen und anerkennen, dass wir nicht wissen, was Gott mit der Welt beabsichtigt, vertrauen aber auf Seine Güte und Weisheit.
Um Werkzeug in Seiner Hand zu werden, müssen wir auf unseren Eigenwillen verzichten. Und indem wir das tun, erkennen wir, dass dieser Eigenwillen immer schon eine Illusion war. Erst Kraft unserer Vollmacht können wir wirken.
Kommentare
[ … Hier kann dein Kommentar veröffentlicht werden.]